Ötztaler Radmarathon 2023

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Bericht von Stefan

Den Ötzi kennt wohl jeder Radsportler und jede Radsportlerin: Start und Ziel in Sölden in Österreich, über 4000 Starter und Starterinnen, 227 km Streckenlänge, 5500 Höhenmeter verteilt auf  4 Alpenpässe: Kühtai und Brenner in Tirol, Jaufenpass und Timmelsjoch in Südtirol.
2023 fand der Ötzi erstmals im Juli statt und das traumhafte Wetter gab den Veranstaltern recht. Die 2023er Ausgabe wird zudem als Rekordausgabe in die Geschichte eingehen, denn neben den Rekordtemperaturen von über 30 Grad in den Tälern gab es noch eine Rekordzeit bei den Damen: Janine Meyer aus Köln gewann in 7 Stunden 27 Minuten!

Nach mehr oder weniger unruhiger Nacht klingelte mein Wecker bereits um 4 Uhr in der Früh um auch pünktlich um kurz nach 5 möglichst weit vorn in der Startaufstellung zu stehen. Ein Tipp von meinem Sohn Sven, der mich nach seiner Teilnahme im letzten Jahr dazu bewegt hat, mich auf dieses Brett einzulassen und der nun neben mir am Start stand.

Als sich dann um kurz vor halb 7 auch die letzten Fahrer in der gefühlt unendlich langen Startaufstellung eingefunden hatten und zwei TV-Helikopter begannen abzuheben, stieg ebenso die Nervosität. 

Ötztal und Kühtai

Um 06:30 ertönte dann schließlich der Startschuss durch BORA-hansgrohe Profi Anton Palzer und es ging mit voller Wucht im großen Feld hinunter nach Ötz. Hier wäre nach ca. 15 km das Rennen für mich schon fast zu Ende gewesen, denn ich hatte einfach nur Glück, nicht in einen Massensturz mit 30-40 Teilnehmern verwickelt worden zu sein, weil ich relativ weit am Rand fuhr. Keine Fahrtechnik, kein Können – nur Glück! Viele hatten aber keine Chance zum Ausweichen und so gab es leider auch einige Verletzte, die das Rennen beenden mussten.

Für mich ging es Gott sei Dank weiter und in Ötz mit über 50 km/h im Schnitt angekommen, wartete mit dem Kühtai auch bereits die erste Herausforderung des Tages. Vermutlich auch durch das bereits früh am Morgen besonders warme Wetter standen schon hier jede Menge Zuschauer an der Strecke. Gerade auf der langen und steilen Geraden kurz vor der Passhöhe erzeugte das Spalierstehen links und rechts an der Strecke definitiv Tour-de-France-Flair und Gänsehaut mitten in Tirol. Hier hatten sich auch meine Frau Andrea und meine Tochter Carmen positioniert, um mir neue Flaschen anzureichen und Klamotten abzunehmen. Zeit zum Genießen blieb trotzdem nicht und so ging es im Sturzflug in die schnelle Abfahrt hinunter nach Kematen Richtung Innsbruck. Leider konnte ich die 100 km/h nicht ganz knacken, denn es war auf der Strecke einfach zu voll, um es komplett laufen zu lassen. Wie sagt mein Sohn: bei den Geschwindigkeiten bist du nämlich nur noch Passagier… 

Brenner

Unten angekommen folgte das einzige wirkliche Flachstück des Tages, ehe es mit moderater Steigung hinauf zum Brenner nach Italien ging. Hier habe ich dann dennoch den entscheidenden Fehler im Rennen begangen und habe in einer ca. 60 Mann starken Gruppe über meine Verhältnisse getreten, auch weil ich den Brenner im Vorfeld als leichtesten der 4 Anstiege schlicht und ergreifend unterschätzt habe. Das sollte sich später bitter rächen!

Oben am Brenner konnte ich noch einmal 2 dringend notwendige Flaschen von Anja, der Freundin meines Sohnes entgegennehmen, die dort oben auf mich wartete. So machte ich mich dann auf die kurze Abfahrt nach Sterzing, dem letzten Streckenabschnitt, auf dem ich mich noch euphorisch am Renngeschehen erfreut habe und auf dem ich mich noch unter meiner selbst gesetzten Sollzeit befand.

Jaufenpass

Ab jetzt begann der Ötztaler wirklich! Am Fuße des Jaufenpasses angekommen, gab es dann zum ersten Mal die Hitze des Tages mit nur knapp unter 30 Grad zu spüren.

Schon zu Beginn des Anstiegs merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Eine Woche vorher war ich zum Training bereits schon einmal hier gewesen und hatte den gleichbleibenden Anstieg als sehr gut fahrbar wahrgenommen. Das war hier und heute etwas völlig anderes. Kein Zweifel: der Mann mit dem Hammer hatte zugeschlagen…

Dennoch habe ich mich mehr oder weniger wacker zur Passhöhe hinaufgekämpft und wollte gar nicht daran denken, was mir noch am Timmelsjoch bevorstand. Zeiten spielten auf einmal überhaupt keine Rolle mehr, es ging nur noch ums Ankommen. So ging es dann auf die kurvige und recht anspruchsvolle Abfahrt nach St. Leonhard im Passeiertal. Die Einfahrt in das Örtchen glich eher einem Gang in die Sauna. Stehende Mittags-Hitze von über 30 Grad in Kombination mit nahezu keiner Wolke am Himmel und nur wenig Schatten standen von nun an auf dem Programm. Die Anfeuerungen der zahlreichen Zuschauer und Zuschauerinnen am Rand konnten daher leider nur wenig darüber hinwegtrösten, dass jetzt, nach 175 km absolvierter Strecke noch einmal über 1.800 Höhenmeter als besonderes Bonbon bereit lagen.   

Timmelsjoch

Bereits kurz nach dem Ortsausgang von St. Leonhard hatte  ich gleichstarke Mitstreiter gefunden, die sich alle in mehr oder weniger gleichem Schneckentempo den Pass hinaufquälten. Es war jetzt eine Tour der Leiden. Das wussten auch die offiziellen Streckenposten und enthusiastischen Radsportfreunde am Streckenrand, die erfrischende Duschen aus Gartenschlauch oder Wasserflasche anboten und die dankend angenommen wurden.

Es war nun wirklich überhaupt kein Spaß mehr und einfach nur noch eine Frage des Willens. Immer wieder fuhr man an Radlern vorbei, die sich die Krämpfe aus den Beinen dehnten, die von den begleitenden Motorradfahrern als Ersthelfer am Streckenrand betreut wurden oder einfach nur am Rand saßen, um sich ein wenig zu erholen.

Mir ist es gelungen, bis auf den Halt an den Labestationen durchzufahren und so ging es irgendwie dann doch und so erreichte ich nach fast 3 Stunden Kletterei die letzte zu erklimmende Passhöhe auf 2474 m. Glücklich darüber, es doch irgendwie nach oben geschafft zu haben, ging es nun in Richtung Sölden, daran konnte auch die definitiv unnötige 2 Kilometer lange Gegensteigung zur Mautstation nichts mehr ändern. 

Sölden

In Sölden angekommen waren die Leiden von Timmel und Jaufen schon wieder nahezu vergessen. Euphorisch und abermals angefeuert von hunderten Zuschauern und Zuschauerinnen ging es die letzten Kilometer durch den Ort. Obwohl man nur einer von 4000 war, fühlte sich das an wie ein Schaulaufen. Die Anstrengung wich mit Überquerung der Ziellinie purer Erleichterung. Und während am Timmelsjoch noch die Radsport-Karriere im Kopf bereits mehrfach für beendet erklärt wurde, stellte sich bereits jetzt wieder die Frage: Wann sehen wir uns wieder, Ötztaler? Egal wann, ich komme auf jeden Fall wieder!